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Rosso Fiorentino Certaldo

Ohrensport und Augenweide

Wer hören will, muss fummeln. Wer besser Musik hören will, muss insbesondere bei den Lautsprechern Hand anlegen. Das war schon immer so, das wird auch im voll vernetzten Zeitalter so bleiben. Denn jeder Lautsprecher mag es, wenn man sich intensiv um ihn kümmert. Und so mancher honoriert dieses Kümmern besonders gerne …

Von Cai Brockmann

 

Die allermeisten Lautsprecher-Schönheiten – sooo viele gibt’s eh nicht – sind schlank gebaut. Und einigermaßen kapriziös, was ihre „Begleitung“ betrifft: Elektronik, insbesondere Verstärker, und die Aufstellung im Raum sollten möglichst perfekt abgestimmt sein, sonst reagiert Miss Beautiful leicht verschnupft, zeigt gar die typischen Allüren einer echten Diva. Das ist bei dieser schönen Italienerin nicht grundsätzlich anders, fällt aber freundlicher aus. Sie honoriert jede Anstrengung eben nicht mit neuen Forderungen, sondern mit großzügiger Geste – und deutlich hörbarem Klanggewinn. Da habe ich noch ganz andere Fälle in Erinnerung … In den ersten Wochen ihres Besuches, das gebe ich gerne zu, habe ich die Rosso Fiorentino Certaldo ebenso schlicht wie krass unterschätzt. Erstens, weil sie wirklich hübsch ist. Zweitens, weil sie gertenschlank ist. Drittens, weil ich zuvor überhaupt noch nichts über diesen Hersteller gehört hatte. All das zusammen wirkte auf mich zunächst einmal verdächtig. Obwohl es dafür nicht den kleinsten Anlass gab. Vielleicht hat mich die Italienerin einfach ein wenig überrumpelt? Schon einmal, in den späten Achtzigern, hatte ich mich in eine sehr schlanke, sehr schwarze und sehr elegante Lautsprecherdame verguckt. Die kam zwar nicht aus Italien, sondern – zu jener Zeit für mich das einzig Vorstellbare – aus Großbritannien, nichtsdestotrotz besaß sie Grandezza. Und außerdem einen schlanken, schnellen und ziemlich tiefen Bass. Daran habe ich damals zumindest fest geglaubt. Nach fünf intensiven Jahren mit einem Mini-Monitor für HiFi-Extremisten, der nur direkt vor der Rückwand betrieben werden durfte und dann – wow! – bis knapp unter 100 Hertz runtermarschierte, wirkten praktisch alle „normalen“ Boxen wie tumbe Bassmonster. Einzig die Linn Kaber schien mir damals in der Lage, das achsogeschätzte knackig-schlanke Klangbild der kleinen Schwester Kan um ein vorsichtiges Oktävchen nach unten zu erweitern, ohne einen Subwoofer (Teufelswerk!) oder etwa eine „ganz normale“ Box (ohne den berühmten „Fußwippfaktor“!) zu bemühen. Außerdem hatte ich überhaupt keinen Platz in meiner Studentenbude. Da kam mir die strenge Kaber mit der zwingenden Wandaufstellung sowieso ganz recht. Seither weiß ich genau, wie man aus einer superschlank abgestimmten Box auch noch das letzte Hertz herausquetscht (und gegen „Raumtiefe“ eintauscht). Für die perfekte Neuaufstellung der Kaber nach dem Umzug in eine große Altbauwohnung brauchte ich, mit kleinen Unterbrechungen, dann aber auch einen kompletten Tag. Zuletzt lag ich mit Feinwerkzeug bewaffnet vor ihr auf dem Boden, um ihre Spikes hundertprozentig genau auszurichten – Holzdielen, verfl uchte! Und am nächsten Tag musste natürlich alles nochmal nachjustiert werden. Zwei Wochen später dann noch einmal … Ein schönes Hobby, fürwahr! Zurück zur Rosso Fiorentino. Mein Wissen um das entscheidende Quäntchen Extrabass, so meine Überlegung, wird mir hier nützen. Und so ist es denn auch. Und auch wieder nicht. Denn trotz gewisser Ähnlichkeiten zur Kaber: Aus technischer Sicht funktioniert die Certaldo in entscheidenden Punkten völlig anders.

Alu, Leder, Hochglanz

Francesco Rubenni ist der Chefentwickler und Inhaber von Rosso Fiorentino Electroacoustics, Florenz. Rubenni kann auf jahrelange Tonstudio-Erfahrung zurückblicken und will, dass seine Lautsprecher möglichst neutral klingen. Das ist nur zu schaffen, wenn sich das Gehäuse nicht am Gesamtklang beteiligt. Also hat der studierte Audio-Ingenieur alles getan, um seinen Lautsprechern unerwünschte Gehäuseschwingungen abzugewöhnen. Seine Lösung ist elegant: Die zweiteilige Schallwand aus fünf Millimeter starkem Aluminium trägt die vier Chassis – eine Textilkalotte und drei Konustreiber mit Nomex-Membranen – ohne sichtbare Verschraubungen und liegt perfekt auf der Front auf. Lange Stahlschrauben im Inneren des Gehäuses verbinden Schall- und Rückwand, werden von der Rückwand aus angezogen und fixieren die Alu-Platten felsenfest auf bzw. in der Front. Das Gehäuse wird dabei ordentlich „in die Zange“ genommen, was den ohnehin trapezförmigen Korpus der mehrfach versteiften Säule gleich noch ein bisschen mehr beruhigt. Von all diesem Aufwand berichten lediglich acht große, versenkte Spezialschraubenköpfe auf der Rückseite. Das ist in puncto Gehäuseberuhigung aber noch nicht alles: Die Manufaktur aus Florenz bezieht die Front der Certaldo obendrein kunstvoll mit Leder. Außerdem verwendet Rosso Fiorentino als Basismaterial für die hochglanzlackierten Seitenwände (optional auch mit Lederbezug in Kroko-Optik!) HDF-Platten mit eingeschlossenen Marmorpartikeln, und denen scheint nun wirklich jede Schwingungsneigung fremd zu sein. Der enorme konstruktive Aufwand ist übrigens auch physisch „greifbar“: Die gut einen Meter hohe Certaldo wiegt satte 22 Kilogramm, verfügt aber auch über ein extrem stabiles, praktisch schwingungsfreies Gehäuse, in dem alle Treiber ungestört ihrer Bestimmung nachgehen können.

Integrierte Subwooferchen

Außergewöhnlich ist auch die Tieftonabstimmung der Certaldo: Von einer doppelten Bassreflexkonstruktion mit zwei Kammern kündet lediglich eine Öffnung auf der Rückseite. Die obere Kammer wird natürlich vom oberen der drei Konustreiber bedient, der formal und akustisch „nach oben“ an die Hochtonkalotte anschließt, allerdings auch bis in den Frequenzkeller hinabklettern muss. Damit das kleine Chassis diese schwere Aufgabe nicht ganz allein bewältigen muss, nutzt Francesco Rubenni das restliche Volumen des Standlautsprechers für eine echte, ungekünstelte Tieftonunterstützung: Zwei weitere, technisch identische 13-Zentimeter-Treiber werden hier als reine Tieftöner eingesetzt. Die dazugehörige Bassreflexöffnung wiederum befindet sich „unsichtbar“ auf der Unterseite des Gehäuses und strahlt in definiertem Abstand gen Basisplatte ab. Drei Treiber und zwei weit auseinanderliegende Reflex-Öffnungen sorgen für eine gleichmäßige Anregung des Raumes in den tiefen Lagen. Die beiden unteren Treiber werden übrigens von der Frequenzweiche derart tief aus dem musikalischen Geschehen herausgefiltert, dass man ungestraft von integrierten Subwoofern sprechen darf. Sie unterstützen den oberen Kollegen nur in jenem Bereich, wo diesem aufgrund seiner Physis langsam die Luft (besser: die Membranfläche) ausgeht. Kurzum: Die Certaldo ist eigentlich eine Zweiwege-Kompaktbox mit integriertem Subwoofer, eine sogenannte Zweieinhalbwege-Konstruktion. Messtechnisch zeigt sie sich dabei schön ausbalanciert, mit fein verwebten, gut integrierten Hochtonlagen und einem sauberen, erstaunlich weit hinabreichenden Tiefton. Selbst die tiefste Saite eines Basses schafft die Italienerin noch mühelos und ohne Schluckauf.

Ja, es darf etwas mehr sein!

Die insbesondere für einen so schlanken Lautsprecher erstklassigen Messwerte gibt es natürlich nicht umsonst. Wer die Talente der Rosso Fiorentino voll ausreizen will, sollte verstärkertechnisch nicht knausern, sondern in die Vollen gehen. Mit einer Nennimpedanz von 6 Ohm, die beim tiefen C (32 Hz) bis auf etwa 3,3 Ohm absinkt, und dem erwartungsgemäß eher niedrigen Wirkungsgrad von rund 85 dB fallen magersüchtige Schöngeister (z. B. Single-Ended-Designs mit einstelliger Wattage) schon mal unter den Tisch. Hier ist ordentliche, stabile Power angesagt, gern von guten Transistoren produziert. So fühlt sich die Certaldo beispielsweise an einem fetten McIntosh-Amp, aber auch an meinen stark modifizierten Altec- Monos (Typ 1594B) hörbar wohl. Zwischenzeitlich fi ndet sie auch an einer preisgünstigen Block-Endstufe (A-100) durchaus Gefallen, an den Goldenote-Monos M7 blüht sie sogar richtiggehend auf. Überhaupt lässt die Certaldo nichts und niemanden im Unklaren, was momentan gerade vor sich geht. Sie zeigt echte, unbestechliche Monitor-Qualitäten, beweist dabei aber auch ein feines Gespür fürs richtige Maß. So verteilt sie klangliche Belohnungen gerne und rückhaltlos an diejenigen, die sich intensiv und „richtig“ um sie kümmern. Wer hingegen beim Abstimmen oder Ausprobieren „falsch abbiegt“, den weist sie zwar blitzartig auf den Irrtum hin, spart sich sympathischerweise aber den erhobenen Zeigefinger. Hängt am anderen Ende der übrigens erstklassigen Anschlussklemmen aus versilbertem und vergoldetem Reinkupfer ein spielfreudiger Verstärker mit ordentlichen Reserven? Dann ist das gesteigerte Hörvergnügen sofort auf unserer Seite. Wie viel bringt eine Positionierung um ein paar Zentimeter weiter hinaus aus der Ecke? Antwort: einen nochmals größer aufgespannten Raum mit noch immer glaubwürdigem Bass. Welchen Einfluss hat der neue Vorverstärker in dieser Kette? Welchen der Netzfilter? Und was ist von diesem oder jedem Kabelset zu halten? – Die Certaldo bleibt keine einzige Antwort schuldig, spricht Klartext, ohne aufdringlich oder gar unangenehm zu werden. Bemerkenswert finde ich übrigens, dass die Rosso Fiorentino – trotz keineswegs rasantem Wirkungsgrad und mit eher sportlichem als mächtigem Bass – schon bei kleinen, sogar sehr kleinen Pegeln ein klangfarbenstarkes, komplettes Bild der Musik zeichnet. Offenbar ist Francesco Rubenni die Abstimmung so gut, vor allem sauber und präzise gelungen, dass die Certaldo keine ansonsten übliche Bassüberhöhung benötigt, um schon bei kleinen Pegeln zu überzeugen. „Fein ausbalanciert“ trifft es auf den Punkt, und es gilt für leise und laute Szenerien gleichermaßen. Denn auch am anderen Ende der Pegelskala beweist sie – stabile Amps immer vorausgesetzt – erstaunliche Nehmerqualitäten. Klar, ein JBL-Profi -Setup mit 15-Zöllern ist natürlich noch eine ganz andere Ansage, doch die Reserven der schlanken Florentinerin reichen immerhin mühelos aus, um auch ein großes Orchesterwerk mit Nachdruck und Punch zu präsentieren. Lege ich bei solchen Gelegenheiten dann einmal die Hand aufs Gehäuse – der edle Materialmix und die rundum tolle Verarbeitung laden ja ohnehin ständig zum Berühren ein –, muss ich gestehen, dass mir kaum ein Lautsprecher einfällt, dessen Gehäuse im härtesten Gewitter noch weniger mitschwingt. Und zu diesem attraktiven Preis überhaupt keiner. Ein erstklassiges Werkzeug für alle, denen Ehrlichkeit und Langzeitqualitäten wirklich wichtig sind. Und ein schönes obendrein!

www.wodaudio.de

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